Am 17. Mai in diesem Jahr beging ich einen für mich sehr emotionalen Moment, meine Abschiedsfeier in der DHBW. Die Feier war sehr schön und die Rede, die ich dort hielt möchte ich hier in Auszügen zur Verfügung stellen, da viele Kolleginnen und Kollegen darum gebeten haben.
Es ist gar nichts Besonderes, sich aus einem auf Zeit begrenzten Amt zu verabschieden. Es gehört zur Logik und Normalität einer Hochschule, dass ein Vizepräsident kommt und dann – am Ende seiner Amtszeit – dieses auch wieder beendet. So ist es vorgesehen, einerseits, um die Person zu schützen, die ein solches Amt bekleidet, andererseits – und gerade bei Wahlämtern – aus dem Prinzip der Demokratie, bei dem der Wechsel in Führungsämtern zur eingeübten Praxis gehört. Die die DHBW als „Hochschule auf dem Weg“ nun auch einübt.
Ich weiß noch, wie ich damals das erste Mal durch eben jene Türen Schritt, und versuchte, zu verstehen, was das eigentlich ist, das „DHBW Präsidium“. In dem ich nun fortan arbeiten sollte. Und dann der Moment, in dem ich verstand: Das es die eigentliche Frage an der DHBW war – zu verstehen, was das eigentlich ist – die „Standorte“! Zunächst einmal ist das ja nur ein abstrakter, ein organisationstheoretischer Begriff, genutzt zur Strukturierung, um die Teile eines komplexen Systems zu bezeichnen – „Standorte“. Und ich erinnere mich, wie ich dann mehr und mehr dahinter stieg, dass es hinter diesem Begriff das Eigentliche an der DHBW zu entdecken gab.
Das war der Beginn einer intensiven Lernreise. Die sich genau darum drehte: die „Standorte“ und das „Präsidium“. Eine Reise, die bis heute andauert. Eine Reise um die Grundbegriffe der DHBW. Auf dieser Reise gab es viel zu erfahren. Was zum Beispiel ein sternförmiger Aktenvermerk ist. Und die Meyer-Vorfeldsche Laufleiste. Dinge, über die ich mir nie zuvor Gedanken gemacht hatte, und bei denen ich mir immer noch nicht sicher bin ob es dabei einen tieferen Kern zu ergründen gibt. War ich zuvor sehr auf Inhalte konzentriert, lernte ich nun, dass man auch die Form betonen kann. Und obwohl wir seit Hegel wissen, dass Inhalt und Form ohneeinander nicht können, wissen wir auch, dass die beiden sich helfen müssen – eher wie Geschwister und nicht wie Fremde.
Aber das Eigentliche auf meiner Lernreise war etwas Anderes: Das Konzept der Identität und ihrer vielen Schattierungen. War mir zunächst die DHBW als eine Hochschule erschienen, also mit einer Identität belegt, so wurde zunehmend klar, dass es sich eigentlich um eine Organisation mit ganz unterschiedlichen Teil-Organisationen – den „Standorten“ – handelte, die alle für sich ganz unterschiedliche Kulturen, Arbeitsweisen und wunderbare Besonderheiten aufweisen, also eigentlich unterschiedliche Identitäten, die in dem Identitätsbündel, das ich mir als DHBW vorstellte zusammenkamen. Und so kann die Geschichte der DHBW auch als das Spiel verschiedener Identitätspolitiken verstanden werden, wie sie etwa durch Max Horkheimer, Theodor Adorno oder Jacques Derrida beschrieben werden. Solcher Identitätspolitik nämlich der Standorte und solcher Identitätspolitik des Präsidiums.
In der politischen Soziologie würde man die Identitätspolitik eines Präsidiums als Versuch verstehen, die Hochschule auf die Verwirklichung einer vermeintlichen, in ihrem Wesen liegenden Norm zu verpflichten. Die DHBW Norm gewissermaßen. Die Identitätspolitik der Standorte hingegen entwickelt – nach der Lehre der politischen Soziologie – emanzipatorische Forderungen. Dabei geht es darum, sich selber zu repräsentieren und den von außen auferlegten Zuschreibungen (also der DHBW Norm) eine Selbstdefinition entgegenzusetzen. Das Überwinden dieser beiden Positionen ist das Grundthema der DHBW.
Die „Standorte“ und das „Präsidium“ – Begriffe und Realitäten, über die es viel zu lernen gab, auf dieser Reise. Und die auch im Zentrum der aktuellen Debatte stehen. Und übrigens: Dass ich als letztes hauptamtliches Vorstandsmitglied zwei Präsidien angehörte, die ganz unterschiedliche Auffassungen zu dieser Frage hatten, war und ist zugleich spannend. Es ließ mich nicht schizophren zurück, sondern ist vielmehr Ausdruck davon, dass es nicht von vornherein die eine gültige Antwort zu dieser Frage gibt.
Und zuguterletzt möchte ich noch einen Gedanken hinzufügen, der mir in all der Zeit immer wichtiger geworden ist:
Eine wichtig Figur der amerikanischen Hochschullandschaft, Thomas Rhodes, hat am Ende seiner 19 jährigen Präsidentschaft der Cornell University seine Lehren und Gedanken in einem wichtigen Buch formuliert. Es trägt den Titel: „The Creation of the Future“. Er beschreibt dort, dass es in akademischen Institutionen die Gefahr besteht, sich in all den Gremiensitzungen und Kommissionen aushöhlen zu lassen, und dass es wichtig ist, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Denn – so Rodes – unser Auftrag ist es nicht, Fachexperten auszubilden, sondern junge Menschen zu befähigen mit Begeisterung und Kreativität Lösungen für die großen gesellschaftlichen Fragen zu finden, ihr Interesse am Gegenstand zu fördern, aber auch die Reflexion der eigenen Person und Identität und die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Sie dabei zu begleiten, Verantwortung zu übernehmen für die Zukunft der Gesellschaft.
Rhodes schreibt:
„The greatest catastrophe facing universities today, is loss of community: „Without community, knowledge becomes idiosyncratic. The lone learner, studying in isolation, is vulnerable to narrowness, dogmatism, and untested assumption; pursued in community, learning will be expansive and informed, contested by opposing interpretations, leavened by differing experience, and refined by alternative viewpoints.“
Der DHBW wünsche ich diesen „Sense of Community“ immer weiter zu entwickeln. Er ist die Essenz, die uns die Kraft gibt, den Himmel nicht als das Limit unserer Bestrebungen zu sehen. Nur als den Anfang. Ihnen allen – ganz persönlich – wünsche ich, den Mut zu haben, hinter den großen Brocken, über die wir streiten immer wieder den Boden der Gemeinschaft zu sehen, auf dem wir alle miteinander stehen. Es lohnt sich, für uns selbst, für die DHBW, für unsere Studierenden und die Gesellschaft, dafür zu kämpfen.
Manchmal mag man sich vorkommen, wie Sisyphos. Doch auch wie bei ihm liegt der eigentliche Wert vielleicht gar nicht im Erreichen eines absoluten Zieles, sondern darin, den Horizont immer ein Stück weiter herauszuschieben und neu zu erfinden. In seinem wichtigsten philosophischen Werk „Der Mythos des Sisyphos“ beschreibt der große Philosoph und Dichter Albert Camus es mit diesem Satz: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.“ Und er beschreibt Sisyphos als den wahren befreiten Menschen.