Die Fähigkeit zusammen zu leben, ist ein wichtiges Bildungsziel und Future Skill (*)!
Ulf-Daniel Ehlers
„Die Zukunft des Landes entscheidet sich an der Frage, ob es uns gelingt, als Gesellschaft zueinanderzufinden. Können wir zusammenhalten, und ohne Ansehen unserer Herkunft, unserer Lebenssituation und unserer persönlichen Interessen gemeinsam das Wohl und die Würde aller Menschen in unserem Land gestalten, und wo nötig auch verteidigen?“
Letzte Woche Freitag saß ich auf einem Podium zum Thema „Lehren aus Thüringen“, organisiert vom Stadtjugendausschuss Karlsruhe. Es ging darum, mit Vertreter*innen der politischen Jugendverbände 2 Stunden zu diskutieren, was für Lehren aus der Lage in Thüringen, u.a. der schief gelaufenen Ministerpräsidentenwahl, gezogen werden können, und müssen. Vertreten waren die Jusos, die Julis, die Solids, die jungen Grünen, die junge Union. Ob sich die Demokratie mit diesen Vorgängen selber abschaffen kann und wie das verhindert werden kann. Eine lobenswerte Veranstaltung, danke an die Veranstalter! Und erstaunlich gut besucht, etwa 40 Zuhörer*innen und Mitdiskutant*innen hatten sich eingefunden.
Ich war gefragt worden, ob ich auf dem Podium die Perspektive der Bildung vertreten könne. Da war ich mir zuerst nicht so sicher – welche das sein könnten, aber allein in der gedanklichen Vorbereitung auf die Diskussion wurde mir schon deutlich, wie wichtig diese Perspektive war. Und dann während der Diskussion noch mehr. Kurz zusammengefasst, vertraten alle anwesenden Jugendorganisation ihre Parteilinien: Die Kämmerich Wahl ein ungehöriger Vorgang, das AFD Verhalten zu verurteilen, dann, mehr auf der linken Seite, dass es keine Äquidistanz zwischen rechtsextremen und linken zur politischen Mitte gäbe (ein sehr gutes Statement – ich stimme zu und das wird m.E. auch viel zu wenig diskutiert!), also eine Kritik an der Hufeisentheorie, und dann, mehr auf liberaler Seite, eine Rechtfertigung, dass diese Wahl zwar fehlerhaft war, aber man auch mal sehen müsse, wer es denn sonst gemacht hätte, wenn nicht Kämmerich.
Alles soweit so gut – und bekannt.
Es hat mich dann aber doch stutzig gemacht, mit welcher Vehemenz durch die Bank und durch alle Parteien hinweg vertreten wurde, dass sowohl mit den Wählern als auch mit den Gewählten der AFD keine Kooperation eingegangen und sogar kein Dialog geführt werden dürfe. An dieser Stelle bin ich hellhörig geworden, denn eines ist klar – in der Demokratie geht es nur mit Dialog, einer prinzipiellen Kooperationsbereitschaft, und dem Glauben an eine Fiktion eines Zusammenwirkens der Kräfte im Staat.
Und ja: Dabei gilt es dort wachsam und ablehnend zu sein, wo gegen die Grundwerte unserer Demokratie verstoßen wird oder dazu aufgerufen wird. Das ist abzulehnen. Dort, wo nicht mehr tolerant und im Miteinander um die Beste Lösung gerungen wird, sondern in Verachtung für den anderen, dessen Meinung und Person. Da gilt es klar einzuschreiten, zu sanktionieren und ja, auch den Anfängen zu wehren.
Wir brauchen mehr Phantasie für einen neue Dialog in der Gesellschaft!
Aber trotzdem geht es in der Demokratie ja eben genau darum, Bedingungen für die Gemeinschaft einer größtmögliche Vielfalt an Ansichten und Lebensweisen zu gestalten. Und genau da hätte ich mir mehr Phantasievielfalt, Kreativität und Energie der jungen Parteivertreter gewünscht und nicht das sture Weiterverfolgen ihrer „großen Vorfahren“, der Altparteien. Mehr Aufstehen dafür, dass gerade jetzt neue Foren, Instrumente und Konzepte für einen neuen Dialog entwickelt werden müssen, mehr Anstrengungen in dieser Richtung unternommen werden müssen, um alle mit in die Verantwortung einzubinden und in die Diskussion um die Werte unserer Gesellschaft. (Bis hin zu social media. Auch wenn da sicher nur eine kleine Detailkomponente ist.) Es ist doch genau hier, an dieser Stelle, wo wir neue Ideen brauchen. Nicht die alten „Mit denen reden wir nicht mehr“-Reflexe! Genau diese Reflexe zementieren den Status Quo und ermöglichen ein Weiterwachsen des rechten Opferrollenverständnisses.
Pauschale Urteile die dazu führen, mit einer großen Gruppe gar nicht mehr zu sprechen, „Brandmauern“ einzuziehen (so drückten sich die Vertreter*innen auf dem Podium aus) und kategorisch den Dialog abzulehnen, sind eben sehr gefährlich. Diese Tabuzonen machen blind dafür, was es zu lernen gibt. Sie machen uns blind dafür, wo es Problemlagen zu sehen gibt. Rechte (radikale!) Gesinnungen sind nicht akzeptabel. Daran ist – meiner festen Überzeugung nach nicht zu rütteln. Aber sie auszublenden, so zu tun, als gäbe es sie nicht, wird sie eher stärken als dazu führen, dass sie sich (von alleine?) auflösen. Hinter rechten Gesinnungen verbergen sich bedürfnistheoretisch gesehen, oft zutiefst verunsicherte und ängstliche Persönlichkeiten. Den rechten Sumpf zu bekämpfen heißt dann eben, genau hier in einen Dialog zu treten und das dahinter liegende zu sehen. Es klingt ein bisschen sozialromantisch, angesichts der passierenden Gewalttaten, und doch sehe ich den Dialog, das Einbinden in eine gemeinschaftliche Verantwortung, das sichtbarmachen der jeweiligen Verantwortung des Einzelnen für den demokratischen Prozess als unumgänglich.
Die Zukunft des Landes entscheidet sich an der Frage, ob es uns gelingt, als Gesellschaft zueinanderzufinden. Können wir zusammenhalten, und ohne Ansehen unserer Herkunft, unserer Lebenssituation und unserer persönlichen Interessen gemeinsam das Wohl und die Würde aller Menschen in unserem Land gestalten, und wo nötig auch verteidigen?
Die Fähigkeit zusammen zu leben, ist ein wichtiges Bildungsziel und Future Skill!
Dabei hat Bildung einen nicht zu überschätzenden Anteil. Es geht eben genau darum, in alle gesellschaftliche Teilsysteme (Bildung, Soziales, Medizinische Versorgung, Arbeitsplatz, Familie) den dringenden Willen zur Toleranz, Empathie und demokratischen Gemeinschaft zu stärken.
Unser Land hat nur eine Zukunft, wenn alle Menschen, die bei uns leben, sich zu Hause fühlen können, wenn wir nicht mehr danach fragen, wo jemand herkommt, sondern wo er oder sie hinwill, welche Träume, Ambitionen und Pläne jemand hat.
Wir müssen viel mehr tun, in unseren Schulen und Hochschulen, in den Berufsausbildungen, das Thema des gemeinschaftlichen Zusammenlebens anzusprechen und daran ganz explizit zu arbeiten, curricular, wollen wir es verändern. Denn wir tragen Verantwortung dafür, wo wie heute stehen. Alle miteinander. Jan Wiarda schreibt dazu in seinem Blog: „Es sind also nicht immer nur die anderen, die Spalter, die „geistigen Brandstifter“, die Rechtsextremen, die schuld sind. Es sind auch wir selbst, die Verantwortung tragen. Was wir in Hanau, Halle und anderswo beobachten, ist das Spiegelbild einer gespaltenen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, deren Teil wir alle sind. Die ihre gewachsene Vielfalt nicht als das begreifen kann, was sie ist: die einzige Chance, dieses an Herausforderungen so reiche 21. Jahrhundert erfolgreich zu bestehen.“
Und es geht dabei nicht nur darum, dass wir das Ruder herumreißen, und aus unseren Schulen Laboratorien des Miteinanders machen. Kooperationsbereitschaft, Perspektivwechsel, Verantwortung zu übernehmen, sich um die großen gesellschaftlichen Zukunftsfragen zu kümmern, in ganz neuer Weise zu verstehen, dass nur, wenn wir als Gesellschaft uns als inklusiv verstehen, wir die Herausforderungen des 21 Jahrhunderts und darüber hinaus bestehen können.
Es geht auch darum, dass wir uns nicht damit abfinden dürfen, dass unser Schulsystem tiefe Spuren sozialer Segregation zeigt und damit noch mehr Misstrauen und Spaltung erzeugt. Denn es ist eine Illusion, dass jeder und jede die „gut genug“ ist, „alles werden“ kann in diesem Land. Wir erkennen in unserem Bildungssystem die unterschiedlichen sozialen Startvoraussetzungen nicht an, werfen dann aber Menschen vor, dass sie nicht ins Ziel kommen. Und nein, das ist keine Frage der Anzahl von Schulsysteme.
Das Lösen der gesellschaftlichen Problemlagen, wie sie etwa mit dem Klimawandel verbunden sind, der Herausforderungen der zukünftig noch zunehmenden Migration, der Konflikte, die durch populistische Gesellschafts- und Politikentwürfe entstehen und der damit verbundene Frage nach der Zukunft der Demokratie – all dies erfordert die Fähigkeit, neue und bisher unbekannte Ansätze zu entwickeln, neue Wege zu gehen und bislang Unverbundenes auf neue Weise miteinander in Beziehung zu setzen. Dafür werden wir alle benötigen, alle mit ein binden müssen, den Beitrag aller Menschen in unserem Land wertschätzen müssen. In der Bildung und Wissenschaft wird dies nur dann gelingen, wenn wir die Lösungsbeiträge einer jeden Disziplin und Wissenschaft zusammenzutragen, kritisch reflektieren und aufeinander zu beziehen.
Future Skills zu fördern bedeutet heute, und auch angesichts von Hanau, Kassel, Halle und alle den anderen Schauplätzen rechter Gewalt eben auch, das Bildungssystem zu hinterfragen. Es bedeutet, ein Bildungssystem zu gestalten, welches die zukünftigen Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzt, mit damit verbundenen Herausforderungen umzugehen und in der Gesellschaft für Kohärenz zu sorgen, Offenheit, Toleranz, ein Bewusstsein für Unterschiedlichkeit wertzuschätzen und gerade nicht, populistischen Erklärungen zu erliegen. In unserer derzeitige Arbeit zu Future Skills, wird es uns immer mehr bewusst: Die Frage, wie junge Leute für die Teilhabe an gesellschaftlichen Systemen und Prozessen befähigt werden, und wie wir Frieden, Bewahrung der Schöpfung und Gemeinschaft als Werte in einer zukünftigen Gesellschaft stärken können, zukünftig über die Relevanz unserer Schulen und Hochschulen entscheiden.
Das heutige Fach- und Expert(inn)enwissen wird zukünftig nur noch einen kleinen Teil darstellen, an dem sich zukünftige Generationen auf ihrer Suche nach Lösungen gesellschaftlicher Problemlagen orientieren werden können. Es wird darum gehen, eine Gesellschaft zu gestalten, in der alle Menschen mit ihren Unterschieden miteinander leben können. Auch um das Wohl ihrer Freunde und Familien, ihrer Communities und des Planeten als Ganzem, werden sie sich bemühen müssen. Mitgefühl, Achtsamkeit und Leidenschaft werden zu expliziten Bildungszielen der Schulen und Hochschulen der Zukunft werden. Es wird darum gehen, Bildungskonzepte einzusetzen, die Lernende mit Kraft, Energie und Überzeugung ausstatten und mit der Fähigkeit, diese wertschätzend zu kommunizieren. Die Kompetenzen, die sie brauchen, müssen sie in die Lage versetzen, ihr eigenes Leben zu gestalten und zum guten Leben anderer beizutragen.
Und so ist mein Fazit der Podiumsdiskussion auch: Die Lehre von Thüringen fängt in unseren Schulen und Hochschulen an. In Schulen und Hochschulen in denen Diversität kein Modewort ist. In denen Unterschiede etwas sind, das gefeiert wird. Ich glaube fest daran, dass eine uniforme und in sich geschlossene Gesellschaft, die sich nicht vielfältig und immerzu dynamisch entwickelt, zurückbleiben wird. Zurück bleibt in einer Welt von morgen. Wir müssen wieder anfangen, uns über das gemeinsame Ziel zu definieren, und nicht über die Herkunft – nur dann werden wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln.